Gori
„Am Abend, bevor Gott den Völkern ihre Länder zuwies, feierten die Georgier. Am nächsten Tag kamen sie zu spät zur Verteilung und es war kein Land mehr übrig. Daraufhin entschloss sich Gott, ihnen das Land zu geben, das er ursprünglich für sich bestimmt hatte.“
Georgien und ich
Es war der 1. August 2008. Der Tag der Europa-Cup-Auslosung. Als meine geliebte Austria mit WIT Georgia das Los aus Tiflis zog, war ich so aufgeregt, als wäre es Weihnachten, Ostern und mein Geburtstag an einem Tag. Endlich würde es nach Georgien gehen! Ein Abenteuer, von dem ich schon lange geträumt hatte. Wir brauchten Visa und leider war es bereits Freitagmittag. Am Montag wollten wir dann alle Anträge und Pässe bei der Botschaft einreichen, doch zu diesem Zeitpunkt hatten die Menschen in Georgien ganz andere Sorgen. Der Schatten des Krieges lag über dem Land. Die russischen Truppen standen kurz vor der georgischen Grenze. Nein, Selensky war zu dieser Zeit noch weit entfernt von jeglichem politischen Amt – nicht einmal in der Politik. Putin hingegen regierte als Premierminister Russlands!
Am Wochenende verbreitete sich schnell das Gerücht: Das Hinspiel würde vielleicht gar nicht in Georgien stattfinden. In Windeseile begannen wir, Visa-Anträge für Georgien, Aserbaidschan und Armenien zu organisieren, falls das Spiel in einen Nachbarstaat ausgetragen werden sollte. Der Montag rückte näher, die die Entscheidung über den Austragungsort jedoch nicht. Zu welcher Botschaft sollten wir unsere Pässe und Anträge bringen? Ein Wettlauf gegen die Zeit, denn das Spiel sollte bereits am Donnerstag stattfinden.
Am Montag, es muss nach 18 Uhr gewesen sein, kam dann die Nachricht: Die UEFA entschied sich, das Spiel nach Rize, in die Türkei, zu verlegen. Der zuständige Austria-Manager machte sich noch in der gleichen Nacht auf den Weg. Rize liegt ganz im Nordosten der Türkei, nahe der georgischen Grenze und er hatte die schwere Aufgabe, ein Hotel für die Mannschaft zu finden. Doch die Situation war aussichtslos. Alle Hotels waren voll – sie beherbergten die Menschen, die vor dem drohenden russischen Krieg flohen. Das Hinspiel wurde abgesagt. Während dieser neun Tage im August 2008, die dieser Krieg dauerte, verloren über 800 Menschen ihr Leben.
Knapp zwei Jahre später, im Februar 2010, bot sich ein neuer Versuch. Diesmal war die Austria zu einem Turnier in das russische Sotchi eingeladen. Es war eine der letzten Gelegenheit, das alte Sotchi zu erleben vor dem Umbau zu erleben. An einem dieser Tage, als wir uns an der russischen Schwarzmeerküste aufhielten, beschlossen wir, nach Georgien zu fahren – genauer gesagt, nach Abchasien.
Abchasien – ein Landstrich, der völkerrechtlich immer noch zu Georgien gehört, aber seit 1993 von Russland militärisch besetzt ist. Ein Konflikt, der über 10.000 Leben gefordert hat. Der Plan war, mit dem Bus von Sotchi in Richtung Adler zu fahren und an der Grenze nach Abchasien zu fragen, ob wir mit unseren Papieren rüber dürften. Ein russischer Beamter nickte. Wir durften! Freude! Doch diese Freude war nur von kurzer Dauer. Denn es gab einen Haken: Wir dürften nicht mehr zurück nach Russland. Unser Visum war nur für eine Einreise gültig. Das bedeutete, dass wir nach Abchasien hätten fahren können, aber ohne Rückkehrmöglichkeit. Das Abenteuer hätte dann ein Ende gefunden, ohne jede Möglichkeit zur Rückkehr. Ein neues Leben als Erntehelfer in Abchasien drohte uns. Abchasien ist von der internationalen Gemeinschaft weitgehend isoliert. Ohne eine Botschaft eines EU-Staates, die uns bei der Ausreise hätte helfen können, wären wir völlig auf uns allein gestellt gewesen. Es gäbe niemanden, der uns die nötigen Papiere für den Heimweg besorgen hätte können. Nur fünf Staaten weltweit erkennen die von Russland gezogene Grenze an, der Weg nach Tiflis war militärisch abgesperrt und die offene See bis zur Türkei hätten wir auch nicht schwimmend bezwingen können.
3. Versuch
Es war der November 2021 – eine Zeit, in der Corona die Welt beherrschte, aber die Flüge aufgrund der Pandemie außergewöhnlich günstig waren. Zu sechst machten wir uns auf den Weg und flogen in die Hauptstadt Armeniens, nach Erevan. Den Bericht und die Fotos über Erevan folgen später. Doch heute geht es um unseren aufregenden Tagesausflug in die georgische Hauptstadt Tiflis. Schließlich trennen die beiden Städte nur 270 Kilometer – eine Strecke, die man in Europa wahrscheinlich in weniger als 3 Stunden zurücklegen würde. Doch hier? Es dauerte mehr als 5 Stunden! Zuzüglich der Zeit, die man an der Grenze braucht! Und das lag nicht nur an den 270 Kilometern, sondern vor allem an den Straßenverhältnissen.
Vergleicht man die Straßen in Armenien und Georgien mit denen in Österreich, würde man sofort erkennen, dass dies zwei völlig unterschiedliche Welten sind. In weiten Teilen, insbesondere in Armenien, waren die Straßen so schlecht, dass wir nicht schneller als 30 km/h fahren durften. Und im Ortsgebiet? Da ging es manchmal etwas schneller, aber nicht viel.
Einmal – und ich gestehe, auch ich brauchte mal eine Pause – musst der Ersatzfahrer ran. In einer Ortschaft passierte es: Er wurde vom Radar geblitzt. Normalerweise ein Hinweis, das Tempo zu verringern. Doch was machte er? Statt langsamer zu fahren, trat er auf das Gas! Nicht mal 3 Kilometer weiter, wurde er erneut von einem Radar erfasst. Gratulation – sowas schafft nicht jeder!
Was die wirtschaftlichen Verbindungen zwischen Armenien und Georgien betrifft, so spielen beide Länder eine wichtige Rolle im regionalen Handel. Georgien ist ein wichtiger Handelspartner für Armenien, da es Zugang zum Schwarzen Meer bietet, was für den Export und Import von Waren entscheidend ist. Zudem ist Georgien aufgrund seiner geostrategischen Lage ein Schlüsselpartner in der Energieversorgung und im Verkehrsnetz. Wie der Austausch der Waren stattfindet, kann ich mir nicht erklären. Auf diesen Straßen aber eher nicht.
Die Frage, warum wir diesen holprigen Weg mit dem Mietwagen auf uns nahmen, ist schnell beantwortet: Es gab damals keine direkte Zugverbindung zwischen Erevan und Tiflis. Das wäre ein riesiger Umweg gewesen, der uns pro Strecke etwa 11 Stunden gekostet hätte. Und dieser Zug fuhr nur einmal pro Tag!
Es gibt jedoch Hoffnung, dass sich die Anbindung zwischen Armenien und Georgien verbessern könnte. Die Eisenbahnlinie zwischen Tiflis und Erevan, die vor Jahren aufgrund von politischen Spannungen und infrastrukturellen Mängeln eingestellt wurde, wird derzeit wieder in Erwägung gezogen. Ein Projekt, das den Reiseverkehr zwischen den beiden Ländern deutlich verkürzen könnte. Das zeigt, wie sich selbst in diesen schwierigen Zeiten etwas ändern kann – und wie wir immer noch hoffen, irgendwann eine einfachere Verbindung zwischen diesen beiden faszinierenden Hauptstädten zu erleben.
Wir erreichten die Grenze. Die Ausreise aus Armenien war kein Problem, doch die Einreise nach Georgien geriet ins Wanken. Auch am Kaukasus gab es Corona-Auflagen. Die fehlende Maske wurde schnell mit einem Taschentuch ersetzt. Doch die Papiere – die waren nicht so, wie die georgischen Beamten es sich gewünscht hätten. Würden wir wieder zurückgeschickt werden? Nein! In unserer Gruppe gab es mehrere Personen mit Erfahrungen im Umgang mit den ehemaligen Sowjetrepubliken und deren Verwaltungsapparaten. Georgien, das 2024 im Korruptionsindex auf Platz 53 liegt, schneidet im Vergleich zu Russland (Platz 154 von 180!) und Österreich (Platz 25) beinahe gut ab. Es dauerte zwar fast eine Stunde, doch schließlich durften wir ins Land. Beim dritten Versuch hatte es also endlich geklappt. Nur noch wenige Kilometer trennten uns von Tiflis.
Georgien ist ein Land, das auf eine lange und wechselvolle Geschichte zurückblicken kann. Es war einst ein Königreich im Kaukasus, wurde dann Teil des russischen Imperiums und später ein wichtiger Bestandteil der Sowjetunion. Nach dem Zerfall der Sowjetunion erlangte Georgien 1991 seine Unabhängigkeit und befand sich in einer turbulenten post-sowjetischen Ära, die von politischen und wirtschaftlichen Umbrüchen geprägt war. Im Jahr 2003 brach die Rosenrevolution aus, die zur Entfernung des damaligen Präsidenten führte und eine Phase von Reformen und westlicher Orientierung einleitete. Trotz dieser Fortschritte kämpft das Land weiterhin mit Herausforderungen, wie den ungelösten Konflikten in Abchasien und Südossetien, die von Russland militärisch unterstützt werden. Heute hat Georgien eine der schönsten Naturlandschaften Europas zu bieten, von den majestätischen Bergen des Kaukasus bis hin zu den Weingärten im Osten des Landes.
Georgien hat etwa 3,7 Millionen Einwohner und die georgische Sprache ist mit ihren einzigartigen Schriftzeichen eine der ältesten der Welt. Manche Menschen sprechen noch russisch, aus den Stadtbildern sind die russischen Schriftzeichen aber komplett verschwunden! (Produkte aus Russland gibt es in den Supermärkten zu kaufen) Nur die georgische Schrift und lateinische Buchstaben sind zu sehen. Die wirtschaftliche Verbindung zwischen Georgien und dem Westen ist stark, insbesondere durch die Bemühungen um eine engere Zusammenarbeit mit der Europäischen Union. Georgien strebt nach einer stärkeren Integration in westliche Institutionen, während es gleichzeitig von Russland beeinflusst wird.
Wir erreichten schließlich die Hauptstadt Tiflis. Tiflis, das Herz Georgiens, ist bekannt für seine atemberaubende Mischung aus antiker Architektur und modernen Elementen. Am Ufer des Flusses Kura gelegen, bietet die Stadt eine unverwechselbare Atmosphäre, die von der Geschichte der Region geprägt ist.
Zuerst gingen wir zur Seilbahn, die uns auf den Hügel über der Stadt bringen sollte. Ich schlug meiner Gruppe vor, den Berg hinauf zu wandern und dann mit der Seilbahn hinunterzufahren. Zu meiner Überraschung gab es keinen Einspruch. Doch dann änderte ich meine Meinung und wir fuhren mit der Seilbahn hinauf, auf den Hügel des „Mtatsminda“-Berges. Von dort oben hatte man einen herrlichen Ausblick auf die Stadt. Bei wolkenlosem Wetter konnte man die Altstadt mit ihren verwinkelten Gassen, die imposante Festung Narikala und die prächtige Sameba-Kathedrale klar sehen. Es war ein atemberaubender Anblick – die Stadt strahlte in goldenem Licht.
Nachdem wir die Aussicht genossen hatten, spazierten wir gemütlich den Berg hinunter, um in die Innenstadt zu gelangen. Die Altstadt von Tiflis ist ein wahres Labyrinth aus engen, gepflasterten Straßen, charmanten Cafés und historischen Gebäuden. Wir sahen das prächtige „Sulphur Baths“-Viertel, die Festung Narikala, die in den Hügeln thront und das historische „Sioni“-Kathedraltor, das die lange Geschichte Georgiens widerspiegelt. Überall in der Stadt sieht man eine Mischung aus osmanischer, persischer und russischer Architektur, die Georgiens einzigartige kulturelle Lage zwischen Ost und West widerspiegelt.
Bevor wir uns wieder auf den Rückweg nach Armenien machten, entschieden wir uns, ein uriges georgisches Restaurant zu besuchen. Für mich als Autofahrer war klar, dass ich nur Wasser trinken würde. Borjomi. Dieses Mineralwasser hat einen ganz eigenen, unverwechselbaren Geschmack. Borjomi ist besonders in Osteuropa beliebt, doch 2008 geriet es in Russland in Verruf, als alte Flaschen „mit Leitungswasser aufgefüllt“ und als Borjomi verkauft wurden. Der „Skandal“ führte dazu, dass der Verkauf in Russland einbrach, obwohl viele damals bezweifelten, dass es wirklich so war. Die Propaganda, die Russland im Konflikt gegen Georgien brauchte, war eine der Ursachen für diese Falschmeldungen. Ein ähnlicher Vorfall ereignete sich 2015, als die Türkei einen russischen Kampfjet abschoss. In der Folge wurde plötzlich behauptet, dass die Paradeiser (für meine Leser aus Deutschland: Tomaten) aus der Türkei für den russischen Markt von ungenießbarer Qualität wären.
Im Restaurant wurde uns ein riesiger Tisch voller georgischer Spezialitäten serviert. Die georgische Küche ist berühmt für ihre Vielfalt und ihren Geschmack. Wir genossen Gerichte wie „Khachapuri“, ein mit Käse gefülltes Brot, und „Khinkali“, die saftigen Teigtaschen, die traditionell mit Fleisch und Gewürzen gefüllt sind. Dazu gab es „Mtsvadi“, georgisches Schaschlik, das über Holzkohle gegrillt wird, und einen köstlichen „Tkemali“-Soßensalat, der aus wilden Pflaumen und Kräutern besteht. Es war ein Festmahl, das die georgische Gastfreundschaft in vollen Zügen widerspiegelte.
Gesättigt ging es danach zurück nach Erevan. An der Grenze konnten wir alle unsere Papiere problemlos vorlegen und setzten unsere Reise fort.
März 2025. Schon seit Jahren wollte ich nach Gori, der Geburtsstadt von Josef Tschugaschwili – besser bekannt als Stalin. Nein, ich bin kein Fan von Stalin, im Gegenteil. Der stalinistische Terror und die Massenvernichtung von Millionen Menschen gehören zu den dunkelsten Kapiteln der Geschichte. Stalin, der von 1924 bis zu seinem Tod 1953 die Sowjetunion regierte, war verantwortlich für unzählige Verbrechen gegen die eigene Bevölkerung. Die stalinistischen Säuberungen, bei denen Millionen von „Feinden des Volkes“ – von politischen Gegnern bis hin zu unschuldigen Zivilisten – verhaftet, gefoltert und ermordet wurden, sind legendär. Besonders verheerend war der Holodomor, eine von Stalin verordnete Hungersnot in der Ukraine, die zwischen 1932 und 1933 rund 6 Millionen Menschen das Leben kostete. In dieser Zeit wurden auch unzählige Ukrainer deportiert und in Arbeitslager geschickt. Das wahre Ausmaß dieser Verbrechen wird heute noch heruntergespielt oder sogar geleugnet, vor allem in Russland, wo Stalin bis heute als ein heldenhafter Führer gefeiert wird. In Georgien jedoch, und insbesondere 2008, wurden viele Stalin-Statuen abgerissen. Das hatte einen klaren symbolischen Akt gegen den Stalinismus, da die Erinnerung an Stalin in Georgien aufgrund seiner georgischen Herkunft besonders schmerzhaft war. Russland verehrt Stalin bis heute! Sein Ehrengrab liegt am Roten Platz in Moskau nur wenige Meter vom Lenin-Mausoleum entfernt,
Ich nutzte mein verlängertes "Wochenende" und hob am Mittwoch ab nach Kutaisi.
Kutaisi ist die drittgrößte Stadt Georgiens und eine der ältesten Städte im Kaukasus. Sie hat etwa 150.000 Einwohner und spielte in der georgischen Geschichte eine bedeutende Rolle, sowohl als Hauptstadt des antiken Königreichs Kolchis als auch als Kulturzentrum im modernen Georgien. Heute ist Kutaisi ein wirtschaftliches Zentrum in Westgeorgien, bekannt für seine Nähe zum Bucht von Anaklia und als wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Die Stadt ist auch Heimat des georgischen Parlaments, das hier 2012 bis 2019 tagte.
Am Flughafen angekommen, wurde ich von dutzenden großen Georgien-Fahnen begrüßt, die von der Decke hingen. Neben jeder Fahne hing auch eine EU-Fahne – ein Symbol der beständigen Bestrebungen Georgiens, enger mit Europa zusammenzuarbeiten. Interessant war, dass dieser Flughafen jedoch nicht von der EU, sondern von einer chinesischen Bank finanziert wurde. Die Zollbeamten zogen mich heraus, weil ich wenig Gepäck mit hatte und somit verdächtig wirkte. Doch nach wenigen Minuten durfte ich weiter. Im Eingangsbereich des Flughafens suchten Straßenhunde Schutz vor der Kälte, draußen lag noch Schnee. Vom Tag war nicht mehr viel übrig, sodass ich ins Bett ging, um mich für den nächsten Tag zu erholen.
Am Donnerstag wurde mir mein Mietwagen ins Hotel geliefert und ich fuhr in die Innenstadt von Kutaisi. Die Innenstadt ist nicht nur für ihre charmante Atmosphäre bekannt, sondern auch für historische Sehenswürdigkeiten wie die Bagrati-Kathedrale und das Gelati-Kloster, beide UNESCO-Weltkulturerbestätten. Kutaisi ist ein kulturelles Herzstück und hat sich zu einem wichtigen Zentrum für Tourismus und Wirtschaft in Georgien entwickelt.
Die Geschäfte und Banken öffnen in Kutaisi spät und ich erlebte, dass die Schule dort erst um 9 Uhr beginnt und die Banken erst um 10 Uhr öffnen – das Leben verläuft hier etwas gemächlicher.
Von dort fuhr ich weiter nach Gori. Die Autobahn war insgesamt gut, aber nicht ganz auf dem Niveau der österreichischen Straßen. Ein Großteil der Strecke führte durch Berge, mit vielen Tunneln, die der Straße ein eindrucksvolles Gefühl gaben. Ein Abschnitt von etwa 20 Kilometern war noch nicht fertig und ich musste auf die Bundesstraße ausweichen. Interessant war, dass an vielen Baustellen große Informationsplakate auf Georgisch und Chinesisch hingen – ein klarer Hinweis auf die chinesischen Investitionen in Georgien. China hat in den letzten Jahren massiv in Infrastrukturprojekte in Georgien investiert, vor allem in den Ausbau von Straßen, Eisenbahnen und Flughäfen, als Teil ihrer „Neuen Seidenstraße“-Initiative.
Nach etwas mehr als zwei Stunden erreichte ich Gori, eine Stadt mit etwa 50.000 Einwohnern, die nicht nur als Geburtsstadt Stalins bekannt ist, sondern auch eine wichtige militärische und wirtschaftliche Rolle in Georgien spielt. Gori hat eine zentrale Bedeutung im Verkehrsknotenpunkt des Landes, liegt strategisch günstig und ist ein Zentrum für Industrie und Landwirtschaft.
Auch hier wehten überall Georgien-Fahnen, oft mit EU-Fahnen kombiniert. Die georgische Nationalflagge ist in der Region tief verwurzelt, ein Symbol für die ungebrochene nationale Identität und den Wunsch nach Unabhängigkeit. Ich fand schnell das Stalin-Museum. Das Museum in Gori ist ein einzigartiger Ort, um mehr über Stalins Leben und seine Auswirkungen auf die Sowjetunion und die Welt zu erfahren. Besonders auffällig ist der grüne Wagen, der vor dem Museum steht – es war der gepanzerte Zugwagen, mit dem Stalin während seinen Reisen fuhr. Das Museum zeigt nicht nur Stalins Aufstieg zur Macht, sondern auch die Verbrechen, die er während seiner Herrschaft beging. In einem Raum werden auch Fotos der russischen Kriege gegen Georgien von 1993 und 2008 gezeigt, in denen die russischen Vergehen dokumentiert werden.
Mein nächstes Ziel war die Hauptstadt Tiflis, die nur ungefähr 90 km entfernt liegt. Ich wollte wissen, was sich in den letzten knapp 4 Jahren verändert hat. Auf dem Weg dorthin führte die Autobahn nur einen Kilometer entfernt an Südossetien vorbei, einer der Regionen, die von Russland mit militärischer Gewalt seit Jahren besetzt ist. Die Schilder entlang der Straße fand ich sehr interessant. Natürlich waren Istanbul und Ankara ausgeschildert, aber was mich besonders schmunzeln ließ, waren Teheran und Vladikavkaz.
Tiflis, die Hauptstadt Georgiens, hat eine bewegte Geschichte. Mit etwa 1,2 Millionen Einwohnern ist sie das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum des Landes. Die Stadt liegt malerisch am Fluss Kura, umgeben von den Hügeln des Kaukasus. Ihre Geschichte reicht bis ins 5. Jahrhundert zurück und sie war sowohl unter persischer als auch unter russischer Herrschaft ein wichtiger Knotenpunkt. Heute ist Tiflis eine lebendige Stadt, die sich zwischen der Tradition und modernen Einflüssen bewegt. Die Altstadt mit ihren engen Gassen und der Architektur aus dem 19. Jahrhundert ist ebenso charmant wie die moderne Skyline, die von Hochhäusern und Geschäften geprägt ist. Tiflis ist auch ein Schmelztiegel der Kulturen, in dem Georgier, Armenier, Russen und andere Völker harmonisch zusammenleben. Die Stadt steht sinnbildlich für das Bestreben Georgiens, ein Teil des westlichen Europas zu werden und das merkt man an den zahlreichen EU-Fahnen, die überall wehen.
In Tiflis wollte ich mit der Seilbahn auf den Hausberg fahren. Im Kreisverkehr vor der Talstation wehten bei starkem Wind wieder Georgien- und EU-Fahnen. Ich parkte mein Auto, nur um zu erfahren, dass die Seilbahn wegen des Windes nicht fuhr. Interessanterweise stand dort auch ein Stück der Berliner Mauer – ihr wisst schon, die Mauer, die die sogenannte „DDR“ in Kooperation mit Moskau unter dem Namen „Antifaschistischer Schutzwall“ errichtet hatte, um die Menschen in Ostdeutschland vor dem „Faschismus zu schützen“. In Wahrheit jedoch, wer in dieser Zeit versuchte, vom Osten in den Westen zu fliehen, wurde entweder verhaftet oder sogar sofort erschossen. Über 140 Menschen verloren ihr Leben bei dem Versuch, die Mauer zu überwinden.
Ich nahm mir ein Taxi, um auf den Hausberg zu gelangen, den Mtatsminda-Berg. Auf dem Gipfel erblickte ich die „Mutter Georgiens“-Statue. Diese beeindruckende Statue, die eine Frau mit einem Schwert in der einen und einem Kelch in der anderen Hand zeigt, symbolisiert die georgische Bereitschaft, sowohl Freundschaft zu denjenigen zu bieten, die Georgien lieben, als auch Feinde zu bekämpfen.
Der Ausblick über die Stadt ist einfach herrlich. Von hier oben kann man Tiflis in seiner ganzen Pracht sehen – die Altstadt mit ihren bunten Häusern, die modernen Bauten, und natürlich den Fluss Kura, der sich durch die Stadt schlängelt. Die Stadt ist von Hügeln umgeben, und es ist beeindruckend zu sehen, wie sie sich über das Tal ausbreitet.
Den Berg spazierte ich hinunter und fand mich wieder in den Straßen von Tiflis. In jeder Straße wehten erneut Fahnen – Georgien, EU und Ukraine. In einem besonders symbolträchtigen Bereich sah ich auch eine NATO-Fahne, was nicht überrascht, da Tiflis ein Zentrum der Zusammenarbeit zwischen Georgien, der EU und der NATO ist. Ein weiteres bemerkenswertes Detail war, dass viele dieser Fahnen nicht nur in Flaggenform wehten, sondern auch direkt auf den Häuserwänden gemalt waren. Begleitet von Aufschriften wie „RuZZia is a Terrorstate“, „Russia kills“, „Fuck Russia“ und „Never back to USSR“ – all diese Botschaften sind ein klares Zeugnis des tiefen Hasses und der Wut, die die georgische Bevölkerung auf Russland empfindet.
Besonders auffällig war die wiederholte Botschaft „Free Azov“, eine Anspielung auf die Menschen, die in den ersten Wochen des Krieges 2022 Mariupol verteidigten und von den Russen gefangen genommen wurden. Weitere Graffiti besagten „Tiflis ist eine europäische Hauptstadt!“, ein klares Bekenntnis zu der westlichen Ausrichtung Georgiens. Der Hass auf Russland ist hier überall präsent, was für Außenstehende, zb Österreicher, die noch nie in einem der ehemaligen Staaten der Sowjetunion waren, oft schwer zu begreifen ist. Für viele in Georgien ist es nicht nur ein Krieg, sondern ein tiefer, historischer Konflikt, der Wurzeln bis in die stalinistische Ära hat.
Die stalinistischen Säuberungen, die Georgien in den 1930er Jahren heimsuchten, waren katastrophal für die georgische Bevölkerung. Millionen von Menschen wurden Opfer von Zwangsdeportationen, Verhaftungen und Ermordungen. Es wird geschätzt, dass etwa 50.000 Georgier während dieser Zeit ums Leben kamen, viele davon in Arbeitslagern oder durch Erschießungen. Diese Gräueltaten, die unter dem Regime Stalins in der gesamten Sowjetunion stattfanden, hinterließen tiefe Narben in Georgien und prägen das kollektive Gedächtnis des Landes bis heute. Und unser Hauptproblem in der EU ist zurzeit der befestigte Schraubverschluss an Getränkeflaschen.
Ein weiterer Aspekt, den die georgische Bevölkerung derzeit erlebt, ist die Flüchtlingskrise aus Russland. Seit dem Beginn des Ukrainekriegs im Februar 2022 sind zehntausende russische Kriegsverweigerer und Flüchtlinge nach Georgien geflüchtet. Schätzungen zufolge haben rund 100.000 Russen Georgien seit dem Kriegsausbruch als Zufluchtsort gewählt. Viele dieser Flüchtlinge sind junge Männer, die sich dem Militärdienst in Russland entziehen wollten oder vor der Mobilisierung flohen. Während viele Georgier die Flüchtlinge willkommen heißen, gibt es auch Spannungen, da einige befürchten, dass diese Bewegung der Russen die politischen Spannungen weiter anheizen könnte.
Am Freiheitsplatz angekommen, spazierte ich noch durch die nähere Umgebung. Der Freiheitsplatz ist einer der zentralen Plätze in Tiflis und symbolisiert die Unabhängigkeit Georgiens, vor allem nach dem Ende der sowjetischen Herrschaft. In der Nähe befindet sich die Georgische Nationalbibliothek, ein beeindruckendes Gebäude im klassischen Stil, sowie das Hotel Tiflis, ein historisches Hotel aus der Zeit der Zaren, das heute als Wahrzeichen der Stadt gilt.
Ich ging weiter in Richtung Altstadt. In der Altstadt von Tiflis gibt es charmante, enge Gassen, bunte Häuser mit verzierten Balkonen und ein gemütliches Flair. Ich wollte unbedingt in dem gleichen Lokal essen gehen, in dem wir 2021 waren. Unterwegs blickte ich auf die Narikala-Festung auf, die stolz über der Altstadt thront, sowie auf die Sioni-Kathedrale, die mit ihren beeindruckenden Mauern und der Geschichte aus dem 6. Jahrhundert fasziniert.
Das Lokal fand ich, aber leider hatte es geschlossen und ich musste ein anderes nehmen. Das war jedoch nicht weiter schlimm, denn ich konnte ein gemütliches georgisches Restaurant mit einer traditionellen Atmosphäre entdecken. Nach dem Abendessen ging es wieder zurück nach Kutaisi. Der Benzinpreis liegt hier bei unter einem Euro, was den Aufenthalt noch angenehmer machte. Wie geplant wurde am Abend mein Auto wieder abgeholt, und dann war die Nachtruhe angesagt. Bereits um 4 Uhr musste ich wieder aufstehen, um meinen Flieger nach Wien zu erreichen.
Hinweis: Natürlich gehen meine Reiseberichte über „Das Wetter war schön, das Essen war gut und die Menschen waren freundlich“ hinaus. Es ist wichtig, über das zu berichten, was in anderen Ländern passiert – und vor allem, warum es passiert. Die Vergangenheit zu verstehen ist der Schlüssel, um die Gegenwart zu begreifen!